Der Schleier gehört historisch zum Christentum, auch schon zum Judentum. Die meisten Frauen der Bibel müssen wir uns mit Schleier vorstellen – Körper, Haare, oft auch das Gesicht.

So wird Maria, die Mutter Jesu, als galiläische Jüdin eine verschleierte Frau gewesen sein – und zwar deutlich mehr verschleiert als figürliche und bildliche Darstellungen aus späteren Zeiten uns das erkennen lassen.

In biblischen Zeiten und auch noch später war der Schleier im Orient, bei den Griechen und den Römern das Erkennungszeichen einer freien Frau. Je höher ihr Stand in der Gesellschaft, desto prachtvoller ihr Schleier. Im Gegensatz dazu war es Sklavinnen und Frauen niederen Standes sowie Prostituierten in der Regel verboten, sich zu verschleiern. Und das bedeutete auch, dass diese Frauen eher damit leben mussten, belästigt zu werden.

Im Arabien zur Zeit Muhammads, Friede sei auf ihm, war es nicht anders: Der Schleier war in der polytheistischen Gesellschaft freien Frauen höheren Standes vorbehalten, nicht aber Sklavinnen und Frauen niederen Standes. Die Anweisung des Propheten, dass die Frauen seiner Gemeinde sich verschleiern sollten, um nicht belästigt zu werden, ist vor diesem Hintergrund verständlich. Er war ein Schutz vor der Belästigung, mit der manche Frauen in der heidnischen arabischen Gesellschaft rechnen mussten.

In der frühen christlichen Gemeinde ordnete der Apostel Paulus an, dass alle Frauen sich während des Gottesdienstes verschleiern sollten – unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Stand. Das gefiel wahrscheinlich nicht allen Menschen, weil es mit den religiösen Sitten der Zeit brach. So schuf Paulus aber eine Gemeinde, in der alle Frauen ohne Standesunterschiede gleich waren.

Paulus’ Äußerungen zur Verschleierung in 1. Korinther 11 wurden später mit der im gleichen Abschnitt behandelten Unterordnung der Frau in Verbindung gebracht, der Schleier wurde als Symbol dafür verstanden, dass die Frau dem Manne untergeordnet ist. Diese Deutung war allerdings so nicht die Absicht des Paulus. Er wollte vor allem, dass Frauen niederen Standes sich äußerlich nicht von den Frauen höheren Standes unterscheiden mussten. Für ihn sollte die Gemeinde eine Gemeinschaft von Gleichen sein, von Schwestern und Brüdern, in denen der gesellschaftliche Stand keine Rolle spielte.

Dennoch wurde der Schleier immer mehr ausschließlich als Symbol einer untergeordneten Stellung verstanden, und vor allem im Westen wird der Schleier bis heute vor allem so gesehen und auf das Thema Unterordnung reduziert.

Und so wurde das Ablegen des Schleiers zum Symbol der Befreiung von der Rolle als untergeordnete Frau. Die freie, gleichberechtigte Frau darf nach diesen Vorstellungen keinen Schleier tragen, sondern soll ihr Haar offen tragen können, als Zeichen ihrer Emanzipation. Und so verschwindet der Schleier immer mehr aus dem Christentum, zumindest im Westen.

Diese Vorstellung wird im Westen auch auf muslimische Frauen übertragen – und die Emanzipation der Frau wird mit dem Ablegen des Schleiers verknüpft. Eine emanzipierte Muslimin ist für viele im Westen nur ohne Hidschab und erst recht ohne Nikab denkbar. Will sie das nicht einsehen, muss sie mit mehr oder weniger starkem Druck dorthin geführt werden, gegebenenfalls mit Verboten.

Dass ich als Christin den Schleier trage, ist kein Symbol für meine Unterordnung oder meinen geringeren Wert. Der Schleier steht für mich nicht im Widerspruch zu meiner feministischen Einstellung. Er ist auch ein Widerspruch zu der Annahme, eine verschleierte Frau sei unterdrückt, sei nicht frei.

Für mich ist der Schleier eine Krone, die Gott uns Frauen gibt, um die hohe Stellung zu zeigen, die Gott uns gibt. Eine Krone, die zeigt, dass Gott uns frei macht, Frauen jeden Standes. Ich fühle mich geehrt, den Schleier tragen zu dürfen.

Ich weiß, dass ich damit heute ziemlich allein bin. Ich beabsichtige nicht, andere Christinnen von meiner Perspektive zu überzeugen. Aber so möchte ich als Christin leben können. Mein Schleier ist eine Angelegenheit, die niemanden außer Gott und mich etwas angeht.

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