Das Abendland, insbesondere ein „christliches Abendland“, hat nie tatsächlich existiert. Es ist eine nachträgliche Erfindung aus dem 19. Jahrhundert – als ein Block christlicher Nationen gegen den Islam (gleichgesetzt mit dem „Morgenland“). 

Nach dem 2. Weltkrieg wurde der Begriff in Deutschland populär, als etwa die CDU kurz nach 1945 forderte, die „abendländische Kultur“ zu retten, zunehmend ging es dabei um die Abwehr kommunistischer Einflüsse aus dem Osten, der damaligen Sowjetunion. Der Islam war plötzlich weniger bedrohlich, die Türkei wurde zum Verbündeten in der NATO, sandte Gastarbeiter (die freilich selten als Menschen und Nachbarn gesehen wurden) in das „Abendland“.

Ende der 80er, nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der Sowjetunion, war es dann wieder der Islam, der zum Gegenpart des „Abendlandes“ wurde.

Heute ist das „christliche Abendland“ mit seiner vermeintlich „jüdisch-christlichen Kultur“ (noch so ein unzutreffender Begriff angesichts christlichen Antijudaismus) ein beliebtes Argument meist rechter Islamfeinde. Es müsse vor einem Einfluss seitens der Muslime „gerettet“ werden. Und natürlich vor Kopftüchern, Burkas und Burkinis, vor Moscheen und Minaretten.

Das „Abendland“ wird mit der christlichen Kultur identifiziert, schon die Türkei gehört in dieser Betrachtungsweise nicht zum „Abendland“, sondern zum mit dem Islam identifizierten „Morgenland“, trotz der langen und prägenden Geschichte des Oströmischen byzantinischen Reiches, die kurzerhand Rom zugeschlagen und damit assimiliert wird.

Das „Abendland“ ist hauptsächlich durch den Gegensatz zum „Morgenland“ und damit zum Islam geprägt. Es geht nicht um geografische Abgrenzungen, sondern um einen religiösen und kulturellen Gegensatz Christentum vs. Islam, wobei der Islam beziehungsweise die Musliminnen und Muslime negativ und als Bedrohung betrachtet werden, vor der die „christlich-abendländische Kultur“ geschützt werden müsse. Es droht angeblich die Gefahr, dass das „Abendland“ islamisiert, die christliche Kultur ausgelöscht wird.

Es ist das typische „Wir“ gegen „Sie“, ein aggressiver Dualismus, bei dem „wir“ die Guten sind, die von bösen Mächten bedroht werden. Wir sind die Aufgeklärten, stehen auf dem Fundament des römischen Rechts und der griechischen Philosophie und der christlich-paulinischen Religion – und müssen uns erwehren gegen „Heiden“ aus dem Osten.

Um gleich einem Vorwand vorzubeugen: Ja, der Begriff „Abendland“ wurde auch vor dem 19. Jahrhundert verwendet, aber die heutige Bedeutung gewann er im 19. Jahrhundert und dann insbesondere nach 1945 und nach dem Ende des Kalten Krieges. Er wurde dann durch Abgrenzung definiert, auch wenn Begriffe wie „römisches Recht“ und „griechische Philosophie“ neben dem Christentum zur Beschreibung verwendet werden, vorwiegend im Gegensatz zur islamischen Rechtsprechung (Scharia) und Religion, die als inkompatibel, defizitär und bedrohlich gesehen werden.

Keine Kommentare

Kommentar hinterlassen

Als Antwort auf Some User