Das religiöse System der Verschleierung von Frauen in der Gegenwart von Männern und das Konzept der Geschlechtertrennung beruhen auf einer starren Einteilung in zwei Geschlechter: Mann und Frau.
Wir wissen heute, dass das mit dem Geschlecht aus biologischer Perspektive so nicht funktioniert, dass es viel komplizierter ist. Es gibt Frauen, Männer, intergeschlechtliche Menschen und auch nichtbinäre Personen. Dazu kommt das Thema Transgeschlechtlichkeit.
Viele Menschen (nicht nur Religiöse, aber die eben auch) hätten es weiterhin gerne schön einfach, hier Männer, da Frauen, Kiste zu, Thema erledigt – und handeln entsprechend.
Aber wie gesagt: Es ist komplizierter.
Ich unterscheide in der Praxis zwischen Frauen und Männern und gehe dabei nach dem von mir gelesenen Geschlecht.
Ich neige dazu, einerseits „eindeutig Mann“ und andererseits „nicht eindeutig Mann“ zu unterscheiden und die zweite Gruppe de facto als Frauen zu behandeln, wohl wissend, dass auch das nicht wirklich gerecht ist (zumal es auf dem beruht, was ich lese, nicht auf dem, was diese Personen tatsächlich sind).
Das ist nicht gerecht denen gegenüber, die nicht binär sind oder nicht den Geschlechterklischees entsprechen. Eine Lösung habe ich bislang nicht gefunden, und das ist frustrierend. Ich möchte niemanden ungerecht behandeln, nur weil diese Person nicht in mein Konzept von Frau und Mann passt.
Jene Menschen, die fälschlich davon ausgehen, dass es nur genau zwei Geschlechter gibt, haben es im Prinzip leichter, machen es aber anderen Menschen schwerer, und das ist nicht in Ordnung.
Ich glaube nicht, dass mein religiöser Glaube mich zwingt, stur von nur zwei Geschlechtern auszugehen. Das mögen Menschen lange Zeit geglaubt haben, aber die Wissenschaft ist eindeutig: Es ist falsch. Es spricht vieles dafür, dass Geschlecht ein bimodales Spektrum ist, kein binäres System. Und ich glaube nicht, dass Menschen, die dem gängigen Muster Mann oder Frau nicht entsprechen, falsch sind. Oder dass Gott bei ihnen einen Fehler gemacht hätte.
Viele Menschen – nicht nur religiöse Menschen – meinen, der Glaube könne sich nicht irren, die Wissenschaft läge falsch. Es steht doch so in der Bibel, steht doch so im Koran …
Ich bin da anderer Meinung: Der Glaube kann und sollte neuere Erkenntnisse der Wissenschaft nicht abwehren, sondern integrieren. Ich glaube, dass das möglich ist, aber nicht unbedingt einfach. Es ist für Gläubige ein Lernprozess.
Es ist aber auch menschlich ein Lernprozess, ganz unabhängig von der Religion. Es hat viel mit unserer Sozialisation zu tun.
Ich möchte bestimmte Teile meines Körpers Männern nicht zeigen. Ich möchte bestimmte Dinge tun, ohne dass Männer anwesend sind (dazu gehört auch, meinen Hidschab vor dem Spiegel in einer Toilette zu richten). Ich möchte nicht mit Männern in dieselbe Toilette, dieselbe Dusche, dieselbe Umkleide. Da würde jeweils mein Schamgefühl anspringen.
Wie aber gehe ich mit Menschen um, die nicht in dieses binäre Schema passen, mit Menschen, die nicht in klassische Geschlechterrollen passen, ohne sie zu diskriminieren?
Es wirkt oft wie ein nicht auflösbarer Konflikt. Aber es darf nie dazu führen, dass Menschen verletzt und abgewertet werden.