Herzlich willkommen in Lulua’s Café – hier möchte ich mich meinen Besucherinnen und Besuchern gerne vorstellen.
In meinem Pass steht als mein Vorname „Greta“, eine Kurzform von Margareta. Auf Deutsch heißt Margerata Perle – was wiederum auf Türkisch İnci, auf Persisch مروارید (Marvârid) und auf Arabisch لؤلؤة (Lulua, sprich mit doppeltem Glottisschlag: luʔluʔa) heißt.
Ich gestehe, ich finde diese orientalischen Formen meines Namens viel schöner als die deutsche, und ich bevorzuge Lulua. Die ursprünglichste Form dürfte übrigens das persische Marvârid sein – im Frühiranischen soll es „Kind des Lichts“ bedeutet haben, weil einst erzählt wurde, dass Perlen vom Mondlicht umgewandelte Tautropfen sind. Vom Frühiranischen wanderte der Begriff über das altgriechische μαργαρίτης und das altlateinische margarita ins Deutsche.
„Kind des Lichts“ – ich mag diese Deutung. Aber vor allem mag ich die Vorstellung, eine kostbare Perle zu sein. Ich bin eine verschleierte Frau, und ich mag das Bild, dass mein Schleier wie eine widerstandsfähige Muschel ist, die ihre kostbare Perle schützt. Natürlich bin ich kein Objekt, egal wie kostbar es gilt. Ich bin ein Mensch, eine Frau, ich gehöre keinem anderen Menschen, nur Gott allein. Und doch: das Bild der Perle in ihrer Muschel spricht mich als verschleierte Frau an.0
Damit kommen wir zum Schleier. Ich bin eine verschleierte Frau. Ich trage bevorzugt einen Dschilbab (das ist ein weit geschnittenes Gewand, das den Körper und die Haare verhüllt), einen Nikab (den Gesichtsschleier) und Handschuhe. Weil ich immer schon schwarze Kleidung bevorzugt habe und mich darin am wohlsten fühle, trage ich auch schwarze Schleier.
Wer mich so sieht, hält mich für eine muslimische Frau – allerdings bin ich eine Christin.
Aber ich habe eine große Vorliebe für die Welt des Orients. Die Kleidung, das Essen, die Musik, die Menschen. Eine arabische Freundin meinte mal im Scherz zu mir, ich sei wohl in einem früheren Leben eine orientalische Frau gewesen, die jetzt in diesem Körper wiedergeboren worden ist. Würde ich an Reinkarnation glauben (was ich nicht tue), wäre das für mich eine perfekte Erklärung für meine Vorliebe für alles Orientalische (und meine dunkelbraunen Augen in meinem sehr hellen Gesicht mit den blonden Haaren auf dem Kopf). Manchmal träume ich sogar von einem Leben als eher dunkelhäutige Frau im Orient, als sei das mein eigentliches Leben. Wenn ich dann nach dem Aufwachen vor dem Spiegel stehe, scheinen die braunen Augen, die ich da sehe, die Augen jener Frau zu sein, die ich eben noch gewesen bin.
Also, ich liebe die Welt des Orients. Hier im Westen scheine ich eigentlich falsch zu sein. Als sei die Seele in den falschen Körper eingezogen. Allerdings ist das nicht der eigentliche Grund, aus dem mich verschleiere. Allerdings fällt es mir deswegen sehr leicht, mich zu verschleiern. Ich mag orientalische Kleidung lieber als westliche Kleidung (Jeanshosen etwa mag ich so überhaupt nicht). Ich mag weit geschnittene Gewänder, üppige Tücher, fließende Stoffe. Es fällt mir also nicht schwer, mich so zu kleiden. Aber nicht deswegen trage ich nun diese in unserem Land ungewöhnliche Kleidung, mit der ioch doch sehr auffalle.
Ich glaube, dass Gott mich berufen hat, auf diese Weise Solidarität zu üben mit der Minderheit verschleierter muslimischer Frauen in diesem Land. Dass er will, dass ich in den Riss trete, der zwischen der Minderheit dieser Frauen und der Mehrheitsgesellschaft, die ihnen oft ablehnend bis feindlich gegenübersteht, trete. Dass ich zu ihrer Schwester werde, mich ihnen gleichmache. Auf das Vorrecht verzichte, mich westlich zu kleiden, dass ich mich in dieser Gesellschaft wie eine von ihnen behandeln lasse. Ich bin eine von ihnen, soweit mir das möglich ist.
Ich gebe zu: Ich verstehe nicht wirklich, warum Gott das von mir wollen könnte. Ich verstehe, dass viele Menschen das für eher abwegig halten. Aber Gottes Geist zeigt mir immer wieder deutlich, dass dies mein Weg ist.
Um es gleich vorwegzunehmen: Um „Missionierung“ geht es mir dabei nicht. Es ist kein missionarischer Trick. Es geht mir um Solidarität mit meinen muslimischen Schwestern in ihrer in diesem Land oft schwierigen Situation.
So sehr ich orientalische Kleidung mag – oft fällt es mir schwer, in dieser der orientalischen Kleidung ablehnend gegenüberstehenden Gesellschaft Dschilbab, Nikab und Handschuhe zu tragen. Die Blicke, das Anstarren, die Beleidigungen, die Fotos, die von mir gemacht werden, das Gehupe … All das macht es nicht leicht, diese Kleidung zu tragen. Ich habe gelernt, wie viel Kraft es muslimische Frauen kostet, sich so zu verhüllen. Wie groß die Versuchung ist, den Schleier abzulegen. Und wie viel Kraft es gibt, andere verschleierte Frauen zu sehen. Zu wissen, ich bin nicht allein. Es gibt andere Frauen, die dieselben Erfahrungen machen. Ich bin stolz auf meine Schwestern, die zu ihrem Glauben stehen und die mir Mut machen, den Schleier weiterhin zu tragen. Ich glaube, auf diese Weise bin ich auch für andere verschleierte Frauen (oder solche, die es werden wollen) eine Ermutigung.
Ebenso habe ich gelernt, dass Sichtbarkeit Toleranz und Akzeptanz schafft. Ich trage den Schleier seit 2019, und ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Anfeindungen zumindest in meinem Wohnumfeld abgenommen haben. Sie sind nicht ganz verschwunden, aber es ist spürbar besser geworden. Darum erachte ich meine Sichtbarkeit als wichtig, auch für meine Schwestern.
Je länger ich meinen Schleier trage, desto mehr erlebe ich ihn als eine Kleidung, die mir Freiheit schenkt. Das ist schwer zu erklären – und für viele Menschen hierzulande wahrscheinlich nur schwer oder gar nicht nachvollziehbar. Mein Schleier schränkt mich in keiner Weise ein, er befreit mich dazu, ich selbst zu sein. Er ist längst Teil meiner Identität, meiner Existenz. Ich erlebe die Vorstellung, wie früher Make-up, hohe Absätze, Bikini usw. zu tragen, als etwas weniger Freies. Ich möchte nicht mehr nach meinem Äußeren beurteilt werden, ob ich den richtigen BMI habe, ob nicht zu dick bin, ob ich den Erwartungen entspreche, feminin genug bin …
Der Schleier zwingt die Menschen, sich mit meinem Wesen zu beschäftigen, mit meinem Intellekt, nicht mit meinem Körper. Nicht jeder ist dazu bereit – das ist eben so. Mein Körper gehört mir – auch die Entscheidung, was ich von ihm herzeige und was ich bedecken, verhüllen möchte. Und ja, auch mein Gesicht gehört mir. Ich entscheide, wem ich es zeige.
Manchmal werde ich gefragt, ob das mit dem Schleier, den ich als Christin trage, nicht kulturelle Aneignung sei. Ich habe das auch muslimische Frauen gefragt, und die einstimmige Meinung war: Nein, so wie ich es tue, ist es keine kulturelle Aneigung. Der Schleier ist nicht Muslimas vorbehalten, sondern Frauen, die sich aus lauteren Motiven bedecken und verhüllen wollen und die es respektvoll tun. Viele verschleierte Frauen haben mir erklärt, dass sie es positiv sehen, dass ich als Christin den Schleier trage. In den islamischen Welten tragen auch nichtmuslimische Frauen einen Schleier – und die Bibel kennt ohnehin eigentlich nur verschleierte Frauen. Ihn abzulegen kam erst in viel späterer Zeit und vornehmlich im Westen.
Apropos Westen. Ich mag Menschenrechte und eine offene, freiheitliche Demokratie. Aber am Westen gibt es vieles, was ich nicht mag. Der Umgang mit anderen Kulturen. Der Umgang mit Frauen. Der Umgang mit Frauen aus anderen Kulturen. Das Frauenbild. Das Bild, das man sich hier oft von muslimischen Frauen macht. Das westliche Feindbild Islam. Die Ablehnung sichtbarer Religion bei muslimischen Frauen mittels „Kopftuch“ oder „Burka“. Dass ich mich verschleiere, hat auch mit meiner Haltung gegenüber dem Westen zu tun. Mit der Burka des Westens, die hierzulande oft Frauen aufgezwungen wird, damit sie tatsächlich als Frauen betrachtet werden: Du brauchst diese und jene OP, du musst dich schminken, du sollst sexy Kleidung tragen …
Im Westen blicken wir gerne auf das Frauenbild der Muslime herab, fühlen uns ja so überlegen. Aber tatsächlich haben wir keinen Grund, uns überlegen zu fühlen. Bei uns liegt noch vieles im Argen. Frauen im Westen sind nicht wirklich frei. Nicht wirklich gleichberechtigt. Das Patriarchat ist immer noch in einer Machtposition, bevormundet Frauen, entmündigt Frauen. Man hat Frauen beigebracht, sich in die Männerwelt hinein zu assimilieren, aber dabei bleibt auf der Strecke, dass es in unserer historischen und sozialen Situation Differenzen gibt. Es braucht keinen Assimilierungsfeminismus, der diese Unterschiede übersieht, sondern einen sog. Differenzfeminismus. Nur dann können Frauen frei sein. Gleichstellung der Geschlechter allein schafft das nicht, und wenn versucht wird, Frauen in eine Männerwelt hinein zu assimilieren, uns an männlichen Normen orientieren, wie Männer werden, gelingt das erst recht nicht.
Bevor ich missverstanden werde: Ich will nicht sagen, dass der Schleier die Lösung für die fehlende Gleichberechtigung ist. Oder die Religion. Ich will nur den Blick darauf lenken, dass wir im Westen keinen Grund haben, die muslimischen Frauen (etwa wegen ihres Kopftuches oder Schleiers) aus einer überlegenen Position heraus bedauern zu können.
Wir Frauen müssen lernen, uns nicht an männlichen Normen zu orientieren und Männern im Patriarchat gleich werden zu wollen, sondern unsere eigenen Wünsche, unsere eigenen Rollenerwartungen zu reflektieren. Zu erkennen, wo die Wünsche und Rollenerwartungen der Männer uns schaden. Als eine Frau, die wie ein Mann lebt, können wir nicht frei sein. Zu verschiedenen ist unsere historische und soziale Situation. Zu verschieden sind unsere Bedürfnisse.
Der Feminismus der zweiten Welle glaubt, wenn Frauen Kopftuch und Schleier ablegen und wie die Männer leben, deren Wünsche und Rollenerwartungen teilen, dann sind sie frei. Und genau das ist ein fundamentaler Irrtum. Keine Frau ist frei, nur weil sie sich entschleiert. Und wenn ihr die Entschleierung aufgezwungen wird, dann ist sie erst recht nicht frei.
Was gibt es sonst noch über mich zu sagen? Nun, ich komme ursprünglich aus einer Stadt an der Elbe bei Hamburg, lebe aber schon seit mehr als 25 Jahren im Südwesten, bin 57 Jahre jung, verheiratet, habe zuerst Einzelhandelskauffrau und dann Altenpflegerin gelernt, bin heute aber Hausfrau.