Wann immer es um Schleier – Kopftuch, Nikab, „Burka“ usw. – bei Beamtinnen, Lehrerinnen, Richterinnen usw. geht, wird der Vergleich mit dem christlichen Kreuz bemüht.
Natürlich lassen sich Schleier und das Kreuz vergleichen. Nur gleichsetzen lassen sie sich nicht.
Das Kreuz oder Kruzifix ist ein religiöses Symbol mit Bekenntnischarakter. Ähnlich dem Ichthys-Fisch (Ichthys bzw. ἸΧΘΥΣ steht für die griechischen Anfangsbuchstaben des Satzes Ἰησοῦς Χρῑστός Θεοῦ Υἱός Σωτήρ, ein sehr frühes christliches Bekenntnis, das mit einem Fisch-Symbol (koine-griechisch ἰχθύς heißt übersetzt Fisch) gezeichnet werden konnte), das ebenfalls ein Symbol mit Bekenntnischarakter ist.
Es gibt aber kein religiöses Gebot, dieses Symbol zu verwenden.
Und das ist der Unterschied zum Schleier. Denn im traditionellen Islam ist der Schleier für Frauen verpflichtend (fard). Viele Muslimas folgen dieser Lehre und betrachten den Hidschab als obligatorisch.
Mit dem Nikab, dem Gesichtsschleier, ist es etwas komplizierter. Im traditionellen sunnitischen Islam ist er aufgrund seiner Verwurzelung in der islamischen Tradition wünschenswert (sunna), gilt oft als verdienstvoll (mustahabb) und unter gewissen Bedingungen als Pflicht (fard).
Der Schleier ist also nicht einfach ein religiöses Symbol, sondern in erster Linie obligatorisch oder zumindest wünschenswert. Es handelt sich um eine religiöse Handlung, mithin um einen Gottesdienst. Damit steht er auf einer Stufe mit dem obligatorischen Verzicht auf Alkohol oder Schweinefleisch.
Auch im orthodoxen Judentum ist die Bedeckung des Kopfes für Frauen obligatorisch, hier kann allerdings neben einem Tichel (Kopftuch) auch ein Scheitel, eine Perücke aus Echthaar, verwendet werden, was dann praktisch nicht auffällt.
Wir sehen: Die christlichen Symbole Kreuz und Kruzifix haben eine ganz andere Bedeutung als der Schleier muslimischer Frauen. Sie sind nicht obligatorisch, sie stellen ein Bekenntnis dar. Der Schleier ist aber in erster Linie Religionsausübung und damit nach Artikel 4 Grundgesetz besonders geschützt.
Bei der Bewertung im Hinblick auf die weltanschauliche Neutralität des Staates können Kreuz/Kruzifix und Schleier darum nicht gleichgesetzt werden. Ein Schleierverbot für Beamtinnen, Lehrerinnen, Erzieherinnen usw. entspricht de facto einem Berufsverbot, wenn diese Frauen Muslimas sind, für die der Schleier obligatorisch (und damit vom Grundgesetz geschützt) ist. Ein Verbot von Kreuz und Kruzifix hat diese Wirkung nicht. Es hindert niemanden an der freien und ungestörten Religionsausübung.
Als Christin ist es ohnehin meine Überzeugung, dass Kreuze und Kruzifixe an staatlichen und nichtkirchlichen Gebäuden nichts zu suchen haben. Aber das ist ein anderes Thema, das hier zu weit führen würde.
Der Schleier ist, das sei zum Schluss noch als wichtige Ergänzung erwähnt, nicht ausschließlich dem Islam zuzurechnen. Judentum und Christentum kennen den Schleier ebenso; er ist damit geradezu ein Bestandteil der sog. abrahamitischen Ökumene. Er kann darum auch kein explizites „islamisches Symbol“ sein, wenn er ebenso im Judentum und Christentum zu Hause ist. Er steht für diese drei Religionen, ist ein verbindendes Element.