Der Nikab, in Deutschland oft nicht ganz korrekt Niqab oder gar völlig falsch Niquab geschrieben, ist der Gesichtsschleier, den manche muslimische Frauen tragen. Das arabische Wort نقاب (niqāb) bedeutet wörtlich übersetzt „Maske, (Gesichts-)Schleier“. Das Wort hat also keine besondere religiöse Bedeutung. Im Grunde ist jeder Gesichtsschleier und jede Maske ein Nikab.

Die Zahl der Frauen in Deutschland, die einen Nikab tragen, ist recht gering, sie wird auf 2.000–4.000 Frauen geschätzt, die ihn zumindest zeitweise oder regelmäßig tragen. Viele dieser Frauen sind Deutsche, die zum Islam konvertiert sind. Geschätzt weniger als ein Drittel kommen aus Familien, in denen der Nikab üblich ist. Die meisten haben also keinen entsprechenden Hintergrund. Im Schnitt tragen die Frauen den Nikab etwa fünf Jahre. Vermutet wird, dass die Zahl derer, die ihn neu anlegen etwa ebenso hoch ist wie die Zahl derer, die ihn wieder ablegen. Es gibt also keine signifikante Zunahme von Frauen, die den Nikab tragen.

Tradition oder Pflicht?

Frauen, die den Nikab tragen, sind fast ausnahmslos sunnitisch. Sie glauben, dass der Nikab Sunna ist, also der islamischen Tradition entspricht (also bereits von den ersten muslimischen Frauen auf Geheiß Muhammads, Friede sei auf ihm, getragen wurde) und darum wünschenswert ist, aber nicht obligatorisch. Manche glauben, er sei Mustahabb (verdienstvoll), andere, dass er Fard (Pflicht) ist.

Nikab gleich Salafiyys?

Die Gruppe der Frauen, die Nikab tragen, und der Frauen, die zur Salafiyya gehören, ist nicht identisch. Nicht alle Salafi-Frauen tragen Nikab, und längst nicht alle Frauen, die Nikab tragen, sind Salafi.

Vielfalt

Nikabs gibt es in vielen verschiedenen Farben, längst nicht nur in Schwarz. Oft sind es gedeckte Farben.

Es gibt eine enorme, nahezu unüberschaubare Zahl an verschiedenen Modellen. Sie unterscheiden sich in vielen Details: Die Anzahl der Stofflagen, die Größe der Öffnungt für die Augen usw. Manche sind so gearbeitet, dass der Schleier variabel getragen werden kann – so, dass er nur die Augen freilässt oder so, dass die Augenöffnung bis zum Kinn heruntergezogen werden kann. Bei manchen Modellen können die Augen teilweise oder vollständig bedeckt werden, wobei der Schleier für die Augen wiederum sehr unterschiedlich ausfallen kann.

Nikab und atmen

Ich werde oft zwei Dinge gefragt: Ob der Nikab meine Atmung behindert (seit Corona denken hier viele an FFP2-Masken) und ob er meine Sicht behindert.

Ich habe ausschließlich Nikabs, die ich beim Atmen gar nicht wahrnehme, nicht einmal beim Treppensteigen oder beim schnellen Gehen. Ich weiß aber, dass es manchen Frauen anders geht, offenbar gibt es da auch eine psychische Komponente, die manchen Frauen das Gefühl gibt, unter dem Nikab keine Luft zu bekommen.

Nikab und sehen

Was die Sicht betrifft, so hängt das zum einen vom jeweiligen Nikab ab, zum anderen davon, wie er getragen wird, wenn verschiedene Optionen möglich sind. Manche Nikabs behindern meine Sicht überhaupt nicht, ich nehme sie allenfalls wahr, wenn ich nach unten schaue, zur Nase hin. Andere schränken meine Sicht mehr ein, teilweise erheblich. Das lässt sich also nicht pauschal beantworten.

Ein Problem kann sich für Brillenträgerinnen ergeben – da habe ich unangenehme Erfahrungen gemacht, bis ich anfing, Kontaktlinsen zu tragen, die ich aber nicht gut vertragen habe. Ich habe schließlich meine Augen operieren lassen (nicht nur wegen des Nikabs), seitdem benötige ich keine Brille mehr, was im Zusammenhang mit dem Nikab sehr angenehm ist (aber auch sonst).

Persönliche Erfahrungen

Wenn ich nach Hause komme, vergesse ich manchmal, dass ich den Nikab trage – und damit auch, ihn abzulegen.

Der Nikab bedeutet für mich Schutz und Freiheit (was ich damit meine, werde ich ein anderes Mal erklären, das führt hier zu weit). Ohne ihn fühle ich mich in der Öffentlichkeit nicht wohl.

Ich habe längst gelernt, mit dem Nikab auch zu essen und zu trinken, was in der Öffentlichkeit notwendig ist, da ich mein Gesicht dort nicht zeigen möchte. Er behindert mich also auch dabei nicht, es braucht nur etwas Übung, den Schleier beim Essen mit einer Hand anzuheben und mit der anderen das Essen in den Mund zu manövrieren, ohne dass der Schleier dabei beschmutzt wird (falls doch, habe ich immer einen Ersatz-Nikab dabei).

Mit dem Nikab drücke ich natürlich etwas aus. Er bedeutet, dass ich Gott liebe und ihm für seine Barmherzigkeit dankbar bin. Darum tue ich, was ich als seinen Willen erkannt habe. Er will auch ausdrücken, dass ich an Flirts nicht interessiert bin. Er macht mich als religiöse Frau erkennbar, deren Glaube an Gott wichtig ist.

Mein Nikab macht mich nicht besser als andere Frauen. Aber ich habe die Gewissheit, dass ich durch ihn besser dran bin. Er macht mich nicht zu einer ehrbaren oder anständigen Frau, während Frauen ohne Nikab dies nicht wären. Er ermöglicht mir, dass Männer mein Gesicht nicht sehen können, was ich als sehr angenehm empfinde.

Für mich ist es ein Grundrecht, dass ich selbst entscheide, wo ich mein Gesicht zeige, wem ich es zeige. Es ist nicht nur von der Religionsfreiheit geschützt, sondern auch vom Menschenrecht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit und vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung; denn mit unserer Kleidung kommunizieren wir.

Der Nikab ist Teil meiner Identität. Ohne ihn fehlt etwas. Wer mich zwingen will, den Nikab abzulegen, wird dann nicht die Person sehen, die ich bin, sondern im Grunde genommen eine Maske, die einen wichtigen Teil meiner Persönlichkeit verbirgt.

Und nein: Ich wäre nicht „frei“, wenn mir der Nikab verboten würde. Es wäre ein Zwang, es würde mich in meiner Freiheit beschneiden.

Was wären die Folgen eines Verbotes?

Ohnehin befreit ein Nikabverbot keine einzige Frau. Eine Frau, die zur Verschleierung gezwungen wird, wird auf vielen Ebenen unterdrückt. Nur, weil der Nikab weg wäre, wäre nicht jede Unterdrückung beendet. Im Gegenteil steht dann sogar zu befürchten, dass jener Mann, der sie zwingt, Nikab zu tragen, ihr dann verbietet, die Wohnung zu verlassen. Ihr würde also jede Möglichkeit fehlen, sich Hilfe zu holen.

Und wir Frauen, die wir den Nikab freiwillig tragen, stünden dann vor dem Dilemma, entweder das Gesetz zu befolgen und unsere Wohnung nicht mehr zu verlassen – oder gegen das Gesetz zu verstoßen, wenn wir etwa zu einem Arzt müssen. Oder wir entscheiden uns, gegen unseren Glauben zu handeln. Ebenso gut könnte man uns zwingen, Alkohol oder Schweinefleisch zu konsumieren oder eine andere Sünde zu begehen.

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